Wenn sich Arbeiten nicht mehr lohnt

Wenn sich Arbeiten nicht mehr lohnt

 

Professor Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts, war am 22. Oktober zu Gast in der Neuen Tonhalle in Villingen. Auf Einladung der Sparkasse Schwarzwald-Baar analysierte er die aktuelle Wirtschaftslage und gab eine Einschätzung ab, welche Räder für eine bessere Zukunft gedreht werden müssen.

Zu Beginn der Veranstaltung in der mit 900 Gästen voll besetzten Tonhalle, erläuterte Sparkassen-Vorstandsvorsitzender Arendt Gruben seine Sicht der Dinge. „Die Unzufriedenheit mit der aktuellen Wirtschaftspolitik ist so groß wie nie. Das berichten uns unsere Unternehmenskunden täglich.“ Einige von ihnen hätten lediglich das getan, was die Politik von ihnen verlangt habe, „und diese Firmen gehen jetzt in Kurzarbeit“. Deshalb freute sich Gruben, dass Professor Clemens Fuest nach 2019 bereits zum zweiten Mal beim Forum der Sparkasse zu Gast war und richtete die Frage des Abends an den Referenten: „Wie geht es denn dem Patienten Deutschland?“

Gleich zum Einstieg machte Clemens Fuest klar, dass die Aufgabe darin liege, nichts schön zu reden, aber auch niemanden zu entmutigen. „Die wirtschaftliche Lage ist seit 2019 nicht besser geworden. Aber ich bin überzeugt, dass wir die aktuellen Schwierigkeiten überwinden können“, signalisierte Fuest Zuversicht.

Das Produktionspotenzial sinkt

In der Folge wurde jedoch schnell klar, dass es momentan auch nicht viel schön zu reden gibt, selbst wenn es der Volkswirt wollte. Die Wirtschaft stagniert laut der Prognose vom Herbst 2024 und das Fazit liegt für ihn auf der Hand: „Die deutsche Wirtschaft könnte mehr leisten, als sie es aktuell tut.“ Seine Erklärung der Zusammenhänge zeigte, dass die Heilung des Patienten nicht mit einer Kurzbehandlung einhergeht. „Die Unternehmensinvestitionen liegen zehn Prozent unter dem Wert von 2019. Das Problem besteht darin, dass weniger Investitionen dazu führen, dass in den kommenden Jahren das Produktionspotenzial der Unternehmen sinkt. Im Umkehrschluss gehen die Erwartungen an unsere eigene Volkswirtschaft zurück.“ Das Produktionspotenzial sei aber maßgeblich dafür, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland eine positive Entwicklung nehme.

Clemens Fuest definierte das Produktionspotenzial über drei Indikatoren: Die Anzahl der Erwerbstätigen und deren gearbeiteten Stunden, die Investitionen, und nicht zuletzt die Innovationen. Allein die Erwerbstätigen hätten dabei einen Einflussanteil von zwei Drittel. Und hier liegt laut Fuest eines der großen Probleme. „Wir haben mit 46 Millionen so viele Erwerbstätige wie noch nie. Die Zahl der Arbeitsstunden bleibt aber konstant.“ Und es sei eigentlich noch schlimmer: In keinem anderen Land der OECD-Staaten werde weniger gearbeitet als in Deutschland. „Man könnte also auf die Idee kommen, dass da möglicherweise etwas Luft nach oben ist“, sagte Fuest provokant mit einem Augenzwinkern.

Arbeit lohnt sich hier nicht

Für den Volkswirt lässt sich die Frage, weshalb das so ist, aber ganz einfach beantworten: „Wir haben schon einiges dafür getan, dass Arbeiten unattraktiv ist.“ Dafür erntete er nicht zum letzten Mal an diesem Abend Applaus vom Publikum. Als Beleg dafür schilderte er anhand eines Rechenbeispiels, wie eine vierköpfige Familie mit einer Vollzeitstelle plus Sozialleistungen keine 100 Euro weniger im Monat habe, als wenn dieselbe Familie durch mehr Arbeit zwar 2.000 Euro mehr brutto verdiene, dafür aber auf sämtliche Sozialleistungen verzichten müsste. „Wir müssen uns also über die aktuelle Entwicklung der Arbeitsbereitschaft nicht wundern, denn Arbeit lohnt sich in diesem Land momentan nicht“, machte Fuest klar, was sich ändern muss. Und an dieser Stelle wurde der Volkswirt dann auch politisch: „Wir müssen uns doch fragen, welcher Wahnsinn hat uns in diese Situation gebracht?“ Darüber dürfe es unter allen demokratischen Parteien doch keine zwei Meinungen geben, dass dies nicht das Zukunftsmodell Deutschland sein könne, ist er überzeugt – und hatte die Zuhörer auf seiner Seite.

Zuversichtlich in die Zukunft

Im weiteren Verlauf seines Vortrags zeigte Clemens Fuest auf, welche Rollen Energieversorgung, Klimaerwärmung und deren Gegenmaßnahmen sowie die bevorstehenden US-Wahlen auf die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Deutschland haben. In seinem Acht-Punkte-Plan zur Verbesserung der Situation führte er unter anderem auf, die Arbeitsanreize zu verbessern, die Steuerlast zu senken und die Bürokratie abzubauen. Über allem stand aber ein Punkt auf der Agenda: „Wir dürfen keinen weiteren Schaden mehr anrichten.“

Damit dies gelingt, appellierte er auch im anschließenden Podiumsgespräch mit Arendt Gruben an die Zuhörer: „Wir haben immer wieder Phasen in der Vergangenheit gehabt, in denen wir anpacken und eine Wende herbeiführen mussten. Und daraus ziehe ich auch meine Hoffnung und Zuversicht für die Zukunft: Wir haben viele Menschen, die sich verantwortlich fühlen. Und ich sage Ihnen: Wir gestalten die Zukunft.“